Brille vor einem Notebook mit Fokus auf den Bildschirm
Entwickler-Blog · Christoph Bendrich · 25.05.22

Ent­wick­lung barriere­freier Soft­ware: Darauf kommt es an

Öffentliche Stellen sind verpflichtet ihre Verwaltungsabläufe barrierefrei zu gestalten. Worauf es bei der Entwicklung barrierefreier Software ankommt, erläutert IT Requirements Engineer Christoph Bendrich.

Dass Menschen mit Behinderung ihren Alltag so barrierefrei wie möglich erleben, regeln zunehmend Gesetze auf europäischer und deutscher Ebene. Im öffentlichen Raum schreitet die Gestaltung barrierefreier Umgebungen voran, indem z. B. Rampen für Rollstuhlfahrer:innen oder taktile Leitstreifen für Sehbehinderte und Blinde eingerichtet werden – ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Doch nicht nur im Straßenverkehr müssen Barrieren abgebaut werden. Für Menschen mit Behinderung birgt auch die digitale Welt Hürden. Julia Schuppan, Stabsstellenleiterin für Unternehmenskommunikation der Lebenshilfe Erfurt, selbst schwerwiegend sehbehindert, sagt: „Wenn Software nicht auch für den Screenreader programmiert ist, bekomme ich keinen Zugang zu dem Programm.“

Die Gestaltung eines barrierefreien digitalen Zugangs bestimmt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) bereits seit 2002. Deutsche öffentliche Stellen sind seit dem 23. Juni 2021 verpflichtet, ihre elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufe, einschließlich ihrer Verfahren zur digitalen Vorgangsbearbeitung und Aktenführung, barrierefrei zu gestalten.

„Wenn Software nicht auch für den Screenreader programmiert ist, bekomme ich keinen Zugang zu dem Programm.“

Julia Schuppan Stabsstellenleiterin für Unternehmenskommunikation, Lebenshilfe Erfurt
Julia Schuppan - Lebenshilfe Erfurt

Anforderungen an Entwickler:innen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen einer Software stellt Barrierefreiheit einen neuen Zweig dar. Das Hineinversetzen der Entwickler:innen in die Lage von Menschen mit Behinderung führt zu neuen Anforderungen, da sowohl ein hohes Maß an Empathie als auch die externe Meinung und Einschätzung einer betroffenen Person zur Entwicklung der Software benötigt werden.

Die einfache barrierefreie Nutzbarkeit von Software kann heutzutage schon mit überschaubarem Aufwand erreicht werden. Gängige Webtechniken bringen häufig bereits viele Funktionalitäten im Standard mit. Diese lassen sich nach dem „Baukastenprinzip“ nutzen. Es empfiehlt sich daher, von vornherein auf ein technisches Framework zu setzen, das flexibel anpassbar ist und gängige Standards moderner Web-Technologien (z. B. HTML5) mit sich bringt. Komplex und kompliziert wird es, sobald Szenarien der realen Welt nachzubilden sind. Hier greifen unterschiedliche Elemente ineinander und müssen aufeinander abgestimmt werden.

Szenarien der realen Welt nachbilden und durch digitale Lösungen einfacher gestalten – das ist auch unser Anspruch bei der Entwicklung von ERP-Software für die öffentliche Verwaltung. Dabei beschreibt Barrierefreiheit Weg und Ziel bei der Gestaltung unserer neuesten Software-Generation. Parallel passen wir die aktuelle MACH Software nach den Vorgaben zur Barrierefreiheit teilweise oder komplett an. Dazu sind in der Software-Entwicklung zum Teil umfassende Änderungen notwendig. Hier zeigt sich, dass die nachträgliche Implementierung von Barrierefreiheit in bestehende Software zum Teil sehr aufwändig ist. Denn die Umsetzung von Barrierefreiheit erfordert eine grundlegende und weitreichende Überarbeitung unseres Softwarecodes. Da dieser über Jahrzehnte gewachsen ist, sind umfassende Anpassungen unserer Bestandssoftware notwendig.

„Eine grundlegende Voraussetzung für die Nutzung einer Website oder Software durch Menschen mit Behinderungen ist: Sie muss ganz sauber strukturiert und programmiert sein. Und das am besten in der aktuellen HTML-Version.“

Julia Schuppan Stabsstellenleiterin für Unternehmenskommunikation, Lebenshilfe Erfurt
Julia Schuppan - Lebenshilfe Erfurt

Barrierefreiheit von Anfang an

Entwickler:innen sollten Barrierefreiheit daher idealerweise schon bei der Konzeption mitdenken und berücksichtigen. Vorab ist zu prüfen, ob die gewünschten Anforderungen überhaupt barrierefrei umgesetzt werden können. Dabei ist ein klickbares Mockup als Entwicklungsschritt zu empfehlen. Relevant für die Programmierung des Quellcodes ist, dass neben dem Frontend auch der Programmcode im Backend gut aussieht. Dies setzt spezifische Fachkenntnisse in der technischen Welt der Barrierefreiheit voraus, um die Anforderungen passend realisieren zu können.

Fachkenntnisse sind ebenfalls in der Programmierung relevant, damit die Software hinsichtlich Barrierefreiheit programmiert und auch getestet werden kann. Sowohl Programmierer:innen, als auch Tester:innen benötigen für die Validierung und Qualitätssicherung entsprechende Tools, um den Quellcode zu untersuchen und die Ergebnisse der geschaffenen Software etwa per Screenreader vorlesen zu lassen.

 

Kriterien für die Entwicklung barrierefreier Software

Für die Entwicklung barrierefreier Software gilt das Level AA der Richtlinie WCAG 2.1 (WCAG: Web Content Accessibility Guidelines). Diese Richtlinie beinhaltet vier Grundprinzipien, nach denen Inhalte von Software wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein müssen.

Das bedeutet zum Beispiel:

  • visuelle Kontraste und klare Trennungen der Bildebenen
  • Bedienbarkeit aller Anwendungen und Inhaltselemente über die Tabulatortaste
  • Fehlerfreie Darstellung und Funktion auf diversen Geräten, Screenreadern und Braille-Tastaturen
  • Verwendung von einfacher Sprache
  • Erhöhung des Informationsgehalts durch Ausformulierungen und Beschreibungen grafischer Elemente
MACH live! Selfservices

Barrierefrei nach dem Standard BITV 2.0

So setzen wir Barrierefreiheit in den MACH live! Selfservices um.
Die MACH live! Selfservices werden nach dem Standard BITV 2.0 barrierefrei entwickelt. Barrierefreiheit schafft ein Erscheinungsbild, das für Benutzer:innen mit Einschränkungen noch übersichtlicher und einfacher strukturiert ist. Dazu gehören z. B. klarere Kontraste und die Möglichkeit, Text bis zu 200 Prozent zu vergrößern oder Screenreader zu nutzen. Die Verständlichkeit und Erwartungskonformität der Software werden erhöht. Letztlich profitieren alle von einer barrierefreien Software.
Mitarbeiterin der öffentlichen Verwaltung nutzt MACH Selfservice Software auf einem Smartphone.
News
#Barrierefreiheit

Barriere­freie Software-Ent­wick­lung mutig angehen

Julia Schuppan von der Lebenshilfe Erfurt erklärt, worauf es bei der Barrierefreiheit von Software ankommt und warum am Ende alle etwas davon haben.